Kunstmuseum Heidenheim 
Friedrich Kleinheinz – Bildkörper

In seiner Malerei setzt sich Friedrich Kleinheinz mit großer Intensität und Konsequenz mit grundlegenden Fragen des Sehens, der Bildwahrnehmung und des abstrakten Bildes auseinander.
Am Beginn seiner Arbeit, Mitte der 60er Jahre, steht für den Künstler zunächst die Frage nach dem Ursprung der Seherfahrung, die mit der Wahrnehmung von Hell und Dunkel beginnt. Diese elementare Erfahrung versucht er in Zeichnungen Schwarz auf Weiß zu erkunden, indem er in unterschiedlichen Relationen, Gradationen und Malweisen das Verhältnis von Hell und Dunkel untersucht. Dabei stößt er schon bald auf das Phänomen, daß sich das menschliche Wahrnehmungsfeld nicht an der rechteckigen Form des Papiers oder der Leinwand orientiert, sondern konzentrisch auf­gebaut ist, d.h. sich letztlich aus der Linsenform des menschlichen Auges herleitet. Folglich wendet er sich vom Rechteck als primärer Bildform ab und der - freihändig gezeichneten - Kreisform zu.
Wird nun ein Kreis aus zwei unterschiedlich hellen Flächen gebildet, entstehen nicht nur zwei miteinander korrespondierende helle und dunkle Formen, sondern meist auch der Eindruck einer räumlichen Relation zwischen den Formen. Mit dem Verhältnis von Raumillusion und Flächenform setzt sich Friedrich Kleinheinz in einer Reihe von runden Reliefbildern auseinander, deren eine Bildhälfte aus einer meist weiß be­malten Fläche besteht, während die andere Hälfte von einem gebogenen Aluminiumblech gebildet wird. Obwohl die plastische Aluminiumform und die bemalte Fläche ein klar definiertes Bildganzes aus Fläche und Volumen, Hell und Dunkel bilden, wird es vom Betrachter dennoch kaum als eindeutiges und unveränderliches Bildobjekt wahrgenommen. Denn die Aluminiumform reflektiert das Licht je nach Betrachterstandpunkt und Tageszeit unterschiedlich, wodurch sich auch ihr visuelles Verhältnis zur bemalten Fläche tendenziell ständig ändert. Dadurch werden in den Reliefbildern sowohl der Hell-Dunkel-Kontrast als auch das Verhältnis von Fläche und Volumen als unterschiedliche Gestaltungsmittel wahrnehmbar, die sich gegenseitig beeinflußen und faszinierende Raum- und Flächen­illusionen erzeugen.
Das Verhältnis von Fläche und Körperform hat Friedrich Kleinheinz in seinen Reliefbildern systematisch untersucht. Dabei reicht die Spanne der mögli­chen Relationen von zwei gleichartig gestalteten Bildhälften in Farbe und Aluminium, über die Kontrastierung von bemalter Fläche und metallener Form bis hin zu zwei gleichartigen plastischen Wölbungen, welche die da­hinter befindliche Wand als weiße Bildfläche mit einschließen.   Von dieser Untersuchung des Verhältnisses von Bildfläche, Bildvolumen und der Wand als Bildträger ist der Schritt zur Auffassung des Bildes als plastischem Körper nicht mehr weit. Mitte der 80er Jahre beginnt Friedrich Kleinheinz kreisförmige Bilder zu bauen, die nicht mehr an der Wand befe­stigt werden, sondern als Körper frei im Raum hängen. Das erste Bild dieses neuen Typs besteht aus Eichenholzbrettern, die sich auf der Vorderseite sternförmig von der Mitte aus entfalten, während die Rückseite eine ein­fache Rahmenkonstruktion aufweist. Die spannungsvolle Verknüpfung zwei­er gegensätzlicher Bildelemente, die für den Künstler so typisch ist, besteht nun nicht mehr in der Gegenüberstellung von bemalter Fläche und plasti­schem Volumen, sondern im Unterschied zwischen Vorder- und Rückseite. Zugleich findet sich auf der Vorderseite ein weiterer Gestaltkontrast in Form von vier quadratischen Ziegelsteinen, die auf die sternförmige Eichenholz­fläche montiert sind. Auch die Aufhängung des Bildkörpers selbst wird zum Bildgegenstand, indem Friedrich Kleinheinz die durch den Bildkörper laufen­den Haltestäbe in einer Aussparung im Bildzentrum enden läßt. In diesem Bildausschnitt werden sie - deutlich sichtbar - von zwei großen Schrauben fixiert. Insgesamt gesehen bilden so die technische Konstruktion des Bildkörpers, die verwendeten Materialien und ihre künstlerische Gestaltungs­weise eine spannungsreiche Einheit.
Im zweiten, freischwebenden Bild, das Friedrich Kleinheinz macht, tritt zum Bildkörper selbst erstmals dessen Bemalung hinzu. Während die Rückseite eine einfache und klare Konstruktion aus alten schrundigen Holzbrettern zu erkennen gibt, ist die vordere Seite mit mehreren Schichten eines intensiv leuchtenden, monochromen Blau bemalt. Dennoch bringt die satt auf­getragene Farbe die spezifische Materialität des Bildträgers nicht zum Ver­schwinden. Die schrundige Oberfläche des alten, verwitterten Holzes bleibt durch die farbige Fassung hindurch sichtbar und unterstreicht dadurch die Bedeutung des Bildträgers als wesentliches Wirkungselement. Zusammen mit der bemalten Fläche bildet er die spannungsvolle Einheit des Bildes, wobei auch hier die Aufhängung wieder eine wichtige Rolle spielt: Sie besteht nun aus einem massiven Metallstück im Bildzentrum, das auf der Rückseite von zwei großen Schrauben fixiert wird.
Betonte der Künstler in seinen ersten frei schwebenden Bildern deren Körperlichkeit, so spielt diese in den späteren Arbeiten eine untergeordnete Rolle. An Stelle von schweren Holzkonstruktionen verwendet er nun dünne Metallplatten, die einfach an Drähten oder langen Haken aufgehängt werden. Das erste Metallbild besteht aus einer großen runden Metallplatte, die beidseitig monochrom mit einem hellen, relativ kühlen Rot bemalt ist. Auf Grund ihrer trockenen Konsistenz und des pastosen Auftrags liegt die Farbe dick und offenporig auf der Fläche und gewinnt dadurch eine erstaunliche Präsenz. Die Körperlichkeit des Bildes besteht hier also wesentlich in der Materialität der Farbe und der sie tragenden dünnen Metallscheibe.
Die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten mit Metallblech als Bildträger erkundet Friedrich Kleinheinz auch in seinen jüngsten Bildern. Dabei reicht das Spektrum von der zweiseitig bemalten Scheibe bis hin zur Verbindung zweier Scheiben zu einem Bildkörper, dessen Leerraum offen bleibt, der aber auch mit Material gefüllt werden kann. Auch die Bildober­fläche selbst kann durch Bemalung, die Verwendung unbehandelter Metallflächen oder durch Politur ganz unter- schiedlich gestaltet werden. Darüber hinaus erprobt Friedrich Kleinheinz auch andere Formen der simultanen Wahrnehmung von Bildfläche und Bildkörper, indem er trans­parentes Plexiglas verwendet oder vermittels Perforationen die Bildkörper durchsichtig macht.
Betrachtet man die hier skizzierte Entwicklung seines Werks im Überblick, so bestätigt sich die eingangs aufgestellte Behauptung, daß sich Friedrich Kleinheinz mit großer Intensität und Konsequenz mit grundlegenden Fragen der Wahrnehmung des Bildes und dessen Gestaltungsbedingungen ausein­andersetzt. Vor allem seine jüngsten Untersuchungen zur Körperlichkeit des monochromen Bildes stellen einen interessanten Beitrag zum aktuellen Diskurs über die abstrakte Malerei dar. Denn seit sich die Malerei zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Prinzip der Abbildlichkeit abgewandt hat und das Wesen und die Funktion des abstrakten Bildes zu erforschen begann, rückte die Frage nach Bedeutung des Bildträgers immer stärker ins Blickfeld. So entwickelte beispielsweise Frank Stella in den 60er Jahren die Außenform seiner „shaped canvases" (dt. geformte Leinwände) aus der seriellen Struktur gemalter Binnenformen - ohne jede Rücksicht auf die einst domi­nante Rechteckform der Bilder. Auch andere Künstler wie Ellsworth Kelly, Robert Mangold oder Blinky Palermo thematisieren die Materialität des Bildträgers und der Binnenform als wesentliche Wirkungsdimensionen des abstrakten Bildes.
Was Friedrich Kleinheinz von diesen bekannten Stars der Gegenwartskunst unterscheidet, sind hauptsächlich drei Aspekte: Erstens arbeitet er völlig zurückgezogen in der schwäbischen Provinz und sucht keinen Kontakt zum Kunstmarkt. Zweitens thematisiert er nicht primär das Verhältnis von Binnen- und Außenform, sondern konzentriert sich auf die materielle und technische Beschaffenheit der Bildkörper. Drittens benutzt er für seine Bilder nicht die gegenwärtig üblichen Materialien wie Keilrahmen und Leinwand oder Verbundstoffe, sondern alt hergebrachte Trägermaterialien wie Holz oder Metall, die er in einem handwerklich aufwendigen Arbeitsprozeß herstellt.                                 
Deshalb entstehen über Jahre hinweg nur auch ganz wenige Bilder, deren Materialität und z.T. altmeisterlich anmutende Handwerklichkeit mit der Modernität und Aktualität der künstlerischen Fragestellung kontrastiert. Sowohl das unmoderne „Einsiedlertum" des Künstlers als auch die eigen­willige, materialbezogene Ästhetik seiner Bilder erschweren die öffentliche Rezeption. Da Friedrich Kleinheinz die Öffentlichkeit selbst nicht aktiv sucht, bleibt nur festzustellen, daß auch heute noch - im Zeitalter der totalen Kommunikation und des entfalteten Kunstmarktes - ein interessantes und aktuelles malerisches Werk nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit ent­stehen und blühen kann.

René Hirner
Leiter des Kunstmuseum Heidenheim
Hermann Voith Galerie